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Impuls zum 28. Februar 2021

Zum 2. Fastensonntag (B) im Jahreskreis

Von Dr. Stefan Voges (Aachen), Geistlicher Beirat von pax christi Aachen

Klage und Verklärung
28. Februar 1991, vor dreißig Jahren: Im Irak und in Kuwait enden die Kampfhandlungen der Aktion „Wüstensturm“ (Desert Storm). US-Präsident George Bush verkündet eine Waffenruhe. Verhandlungen werden aufgenommen. Am 12. April 1991 tritt im Zweiten Golfkrieg offiziell ein Waffenstillstand in Kraft. Anlass für die Kampfhandlungen war die Besetzung des Emirats Kuwait durch irakische Truppen am 2. August 1990. Nach verschiedenen internationalen Reaktionen auf den Überfall ermächtigte die Resolution 678 des UN-Sicherheitsrats vom 29. November 1990 die UN-Mitgliedsstaaten, „alle notwendigen Mittel“ einzusetzen, falls der Irak bis zum 15. Januar 1991 die Forderungen der vorausgehenden Resolutionen – darunter den Abzug aus Kuwait – nicht erfüllt habe. Zum ersten Mal seit dem Koreakrieg erlaubten die Vereinten Nationen damit militärische Sanktionen.

Am 17. Januar 1991 griff eine internationale Koalition unter Führung der USA den Irak und die irakischen Streitkräfte in Kuwait aus der Luft an. Am 24. Januar 1991 folgte der Einsatz von Bodentruppen. Vier Tage später erkannte der Irak die UN-Resolutionen an.

Auf Seiten der Alliierten sterben rund 400 Personen. Für den Irak sind die Folgen des Kriegs verheerend. Genaue Opferzahlen sind nicht bekannt. Schätzungen gehen von bis zu 200.000 Toten auf irakischer Seite aus. Sie werden während der Kampfhandlungen getötet oder sterben an deren Folgen. Die zivile Infrastruktur wird massiv zerstört. Der UN-Beauftragte Martti Ahtisaari sagt über den Irak, die Zerstörungen hätten das Land in ein „vorindustrielles Zeitalter“ zurückversetzt.

Musikalische Klage
In vielen Teilen Europas führt der Einsatz militärischer Gewalt zu Protestaktionen: Kein Blut für Öl. Der Theologe und Komponist Dieter Schnebel (1930–2018) wählt in dieser Situation den ihm eigenen Ausdruck. Er formt sein Beten als Musik und komponiert eine Klage: Lamento di Guerra.

„Lamento di Guerra I wurde im Januar und Februar 1991 während des Golfkrieges geschrieben – unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse, und in besonderem An-Denken der Freunde in Israel […]. So entstand die Musik spontan, gewissermaßen im Bedürfnis nach direktem Ausdruck. Sie geht still dahin, meist verhalten im piano, mit einigen Ausbrüchen ins forte, und wird am Ende zum Geheul. Die Musik ist einfach und von übersichtlicher Form, was den subjektiven Ausdruck ins Objektive zu wenden sucht: eben ein Lamento, eine Klage über Krieg und Gewalt.
Lamento di Guerra II wurde ausgelöst durch Berichte der Gräuel während der Belagerung von Vukovar im serbisch-kroatischen Bürgerkrieg (Nov./Dez. 1991). In seinen aufdringlichen Wiederholungen ist es ein Ritual – gleichsam der rauhe Gesang einer Klagefrau.“

https://www.youtube.com/watch?v=LL77cEPxboY 

In seinem Lamento macht Schnebel die Schrecken des Krieges hörbar – indem er das Leiden und das Schreien der Menschen in Töne und Laute übersetzt. Der Text der Singstimme besteht größtenteils aus Lauten. Sprache versagt im Angesicht der Schrecken des Krieges. Im zweiten Teil steigert er die Sprachlosigkeit beinahe bis zur Lautlosigkeit, wenn er die Stimme improvisierend „röcheln“, „wimmern“, „stöhnen“ und „schluchzen“ lässt.

Die einzigen Texte im Lamento sind Gebete. Wie Stoßgebete werden einzelne Zeilen hörbar. „Ach Gott vom Himmel sieh darein“. „Vor Krieg und großem Schrecken bewahr uns lieber Herr und Gott“. Am Ende des zweiten Teils sagt die Stimme ein Gebet auf. „Murmeln“ heißt es in der Partitur. Schnebel schlägt das sogenannte Friedensgebet des Hl. Franziskus vor: „Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens …“ Wiederum wendet sich die Klage gegen Krieg und Gewalt ins Gebet und kehrt über das Gebet zum klagenden Menschen zurück, nicht selbst-bezüglich, sondern selbst-anfänglich: „Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens …“ Ist diese Wendung der Grund für die drei Hoffnungstöne, mit denen Schnebels Lamento endet?

Psalm 13
Dieser Psalm gilt als Muster eines Klagelieds eines Einzelnen. Wir können es beten in Solidarität mit den Opfern der Kriege, mit allen Leidenden und Verlassenen, damit das Vertrauen in die Kraft des Gebets wachse …

Wie lange noch, HERR, vergisst du mich ganz? *
Wie lange noch verbirgst du dein Angesicht vor mir?
Wie lange noch muss ich Sorgen tragen in meiner Seele, /
Kummer in meinem Herzen Tag für Tag? *
Wie lange noch darf mein Feind sich über mich erheben?
Blick doch her, gib mir Antwort, HERR, mein Gott, *
erleuchte meine Augen, damit ich nicht im Tod entschlafe,
damit mein Feind nicht sagen kann: /
Ich habe ihn überwältigt, *
damit meine Gegner nicht jubeln, weil ich wanke!
Ich aber habe auf deine Güte vertraut, *
mein Herz soll über deine Hilfe jubeln.
Singen will ich dem HERRN, *
weil er mir Gutes getan hat.

Von der Klage zur Verklärung
Über den Umgang der Kunst mit Leiden und Tod schrieb der Komponist Krzysztof Penderecki einmal: „Jeder Versuch, Schreckliches künstlerisch zu erfassen, die Gemeinheit, den Schmerz und den Tod, vermag dies alles in gewisser Hinsicht zu steigern, nicht für die Betroffenen freilich, wohl aber für den/die Zuschauer*in oder Zuhörer*in; die Kunst … spricht unsere Sensibilität an. Aber entscheidender als solche Verdichtung  des Wider-Sinns ist der Moment der Versöhnung. Selbst der fürchterlichste Schrei wird gebändigt, indem er im Kunstwerk artikuliert wird … Das Leiden wird im Kunstwerk vergegenwärtigt, aber es wird zugleich verklärt“.
Wodurch geschieht diese Verklärung des Leidens, die in Dieter Schnebels „Lamento di Guerra“ durch drei Töne angedeutet wird und die auch im letzten Vers von Psalm 13 überrascht?

Indem der Beter seine Klage an Gott richtet, hält er seine Hoffnung auf Gott aufrecht. Erschüttert, aber letztlich in unerschütterlichem Vertrauen betet er sich in eine Gewissheit der Gottesnähe hinein. Aus dieser inneren Gewissheit bricht schließlich ein Jubel über Gottes Hilfe hervor. In Gewissheit, voller Vertrauen nimmt der/die Beter*in den Dank für Gottes Nähe während des Leidens vorweg. Im Danklied wird das Leid verklärt, und zugleich wird das Danklied zu einer Quelle der Kraft und der Hoffnung, schon jetzt, im Leiden.

Auch im Evangelium wird die Verklärung des Jesus von Nazareth, seine Gemeinschaft mit Elija und Mose, seine erklärte Gottesnähe, zur Quelle der Kraft für den Weg des Leidens, „bis der Menschensohn von den Toten“ aufersteht.

Die Leiden des Krieges und der Gewalt wahrzunehmen und sie in Solidarität klagend vor Gott zu tragen, schafft eine Gemeinschaft der Hoffnung und der verändernden Kraft. In dieser Gemeinschaft wächst die Kraft des Gebets, des Vertrauens in die Not wendende Nähe Gottes. Getragen ist diese Gemeinschaft, sind wir von der vertrauend-fragenden Gewissheit, mit der die Jünger vom Berg herunterstiegen …

Aus dem Evangelium nach Markus (Mk 9,2-10)
Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verwandelt;
seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.
Da erschien ihnen Elija und mit ihm Mose und sie redeten mit Jesus.
Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija.
Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen.
Da kam eine Wolke und überschattete sie und es erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören.
Als sie dann um sich blickten, sahen sie auf einmal niemanden mehr bei sich außer Jesus.
Während sie den Berg hinabstiegen, gebot er ihnen, niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei.
Dieses Wort beschäftigte sie und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen.

Friedensgebet
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht so sehr, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht so sehr, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht so sehr, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.