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Impuls zum 14. Mai 2023

Zum 6. Sonntag in der Osterzeit

Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster

Rechenschaft für die Hoffnung
Hoffnung? Wer kann sich das noch leisten? Ohnmacht ist angesagt. Ohnmacht muss angenommen werden, wenn man ehrlich ist. Ich kann ja doch nichts ändern am Krieg in der Ukraine, an der Ungerechtigkeit unserer Wirtschaftsstrukturen hier und  weltweit, die die Armer ärmer und die Reichen reicher machen, an der ökologischen Krise, die Pflanzen, Tiere und Menschen, die unsere Welt bedroht. Hoffen worauf? Hoffen warum? Hoffen auf wen? „Ich kann ja sowieso nichts ändern!“ Dorothee Sölle nennt das die Ursünde unserer Zeit.

Lesung aus dem 1. Petrusbrief 3,15-18
Heiligt in eurem Herzen Christus, den Herrn! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen, damit jene, die euren rechtschaffenen Lebenswandel in Christus in schlechten Ruf bringen, wegen ihrer Verleumdungen beschämt werden. Denn es ist besser, für gute Taten zu leiden, wenn es Gottes Wille ist, als für böse. Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, ein Gerechter für Ungerechte, damit er euch zu Gott hinzuführe, nach er dem Fleisch nach getötet, aber dem Geist nach lebendig gemacht wurde.

Evangelium: Jo 14,15-21
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ Als ich das las, kam mir die Frage in den Sinn: Damit ich antworten kann, muss ich ja erst einmal gefragt werden. Lebe ich so, leben wir so, dass jemand auf die Idee käme, uns nach dem Grund unserer Hoffnung zu fragen? Wenn ich mir die kirchliche Situation anschaue, dann liegt die Frage näher: Was macht ihr noch in dem kaputten Laden? Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist nach Umfragen in Deutschland in ganz tiefe Regionen abgestürzt. So werde ich auch persönlich gefragt: „Den Bezug zur Botschaft Jesu kann ich noch verstehen. Zur institutionalisierten Religion fehlt mir jeder Bezug, es ist – in unterschiedlicher Form – erstarrter Byzantinismus, Feudalismus und Machtwille – Herrschaft von Menschen über Menschen.“ So in einem Brief eines alten Freundes und Weggefährten. Er hat ja im Blick auf das kirchliche Machtgebaren vielfach Recht. Alle Missbrauchsgutachten sagen es deutlich: Es ging und es geht darum, das Image der „heiligen“ Kirche zu retten, nicht um Menschen, Kinder, Jugendliche vor Verbrechen zu schützen. Das alles gegen die Botschaft Jesu!
   
Doch weltweit gibt es viele Christinnen und Christen, die ihr Leben einsetzen für die Weitergabe der frohen Botschaft Jesu, für den Dienst am Leben und der Zukunft von Menschen in Not. Wir haben vielfach von unseren Partnern in Brasilien gehört: Wenn da ein Gewerkschaftler oder ein Leiter, eine Leiterin von Basisgemeinden von den Pistoleros der Großgrundbesitzer erschossen wird, dann sind da andere, die deren Aufgabe übernehmen, auch wenn sie sich dadurch der gleichen Gefahr aussetzen. Meist wird nicht viel von ihnen in unseren Medien berichtet.

Doch auch bei uns gibt es Zeuginnen und Zeugen von Hoffnung. Es braucht hier keiner sein Leben riskieren, kaum seinen Beruf, vielleicht die eigene Karriere.
Aber es gibt Hoffnung unter uns, die quer liegt zu manchen Trends unserer Zeit:

  • wo ein Behinderter sein Leben annimmt und daraus mehr macht, als die anderen ihm zutrauten;
  • wo Eltern Ja sagen zu ihrem Kind, auch wenn sie schon vor der Geburt wissen, dass es behindert sein wird; 
  • wo Angehörige nicht verzweifeln, obwohl die Pflege eines unheilbar Kranken ihre ganze Zeit und Kraft verlangt;
  • wo Menschen in der Ehe einander nicht aufgeben trotz vieler Enttäuschungen;
  • wo ein Mann seine Frau in die Demenz begleitet oder sie ihren Mann;
  • wo Menschen sich nicht ihrer Sucht ergeben, sondern immer wieder beginnen, neu dagegen aufzustehen;
  • wo ein Kind gewollt und geboren wird;
  • wo Menschen sich nicht in ihre Trauer um einen lieben Verstorbenen vergraben, sondern ihn bei Gott geborgen wissen.

Das gilt auch für die Arbeit in vielen Gruppen. Hoffnung unter uns:
  • wo Gruppen sich einsetzen für Asylsuchende, Arbeitslose, Suchtkranke, Behinderte, Gefangene, Frauen in Not, ausländische Prostituierte, Wohnungslose und so fort. Oft tun sie ja dies auch dann weiter, wenn kaum Aussicht auf Erfolg besteht.
  • wo Eine-Welt-Gruppen sich für mehr Gerechtigkeit im weltweiten Austausch bemühen, auch wenn sie oft wenig Verständnis dafür auch in der eigenen Gemeinde finden;
  • wo Friedensarbeiter/innen sich gewaltlos in Konfliktgebiete wagen, um Verständigung und Versöhnung zwischen verfeindeten Gruppen zu ermöglichen;
  • wo sich immer wieder Eltern finden, die Kinder auf die Sakramente vorbereiten, auch wenn sie wissen, dass meist der Same auf festgetretenen Boden fällt und kaum Frucht bringen kann;
  • wo andere Gottesdienste, Frühschichten und ähnliches vorbereiten und mitfeiern trotz schwindenden Zuspruchs;
  • wo wir in pax christi gegen die Militarisierung der Konflikte kämpfen und uns für eine möglichst gewaltfreie Lösung für die Menschen einsetzen. 

Ich könnte für viele dieser Hoffnungszeichen Namen nennen. Ich lade euch ein, in eurer Umgebung solche Zeuginnen und Zeugen der Hoffnung zu entdecken. Sie werden sich nicht aufdrängen. Sie machen nicht groß von sich reden. Sie stehen oft nicht in den Nachrichten. Sie sind eben „bescheiden“, wie es im Petrusbrief hieß. Vielleicht achten wir auch gar nicht auf sie oder halten ihr Tun für selbstverständlich. Doch diese Menschen können uns helfen, die eigene Hoffnung zu entdecken. Aus welcher Hoffnung lebe ich? Die christliche Hoffnung führt uns nicht aus der Welt hinaus. Das wurde in allen angeführten Beispielen deutlich. Hoffnung führt zu den Menschen hin und ist leidenschaftlich an ihrem Leben, an ihrer Zukunft interessiert. Deswegen lässt sie sich nicht von Hindernissen aufbrauchen oder verbittern. Hartnäckig und geduldig setzt sie sich ein, immer neu. Sie lässt uns neue Wege finden und gehen.

Unsere brasilianischen Partner kommen trotz aller Anstrengungen nicht aus der Armut heraus und kämpfen trotzdem weiter. Wir fragten sie, woher sie dazu die Kraft nehmen, warum sie nicht resignieren. Wir fragten sie – um es mit den Worten der heutigen Lesung zu sagen - nach dem Grund ihrer Hoffnung. Sie antworteten: „Wir haben doch euch als unsere Freundinnen und Freunde. Und: wir sind doch Christen! Wir glauben doch an Kreuz und Auferstehung Jesu. Da wissen wir: wir sind nie am Ende und können immer neu anfangen.“ Wir waren betroffen und beschämt. So hätte kaum jemand von uns geantwortet. Und: Sie nannten noch uns als Grund ihrer Hoffnung und Kraft!

Ja, mein Freund hat Recht: In der Kirche gibt es „Byzantinismus, Feudalismus und Machtwille, Herrschaft von Menschen über Menschen“, aber Kirche geht nicht darin auf. Sie ist auch die Kommunikationsebene von Menschen in Brasilien, hier und anderswo, die sich gegenseitig stärken, weil ihnen der „Bezug zur Botschaft Jesu“ lebenswichtig ist, Orientierung schafft und Impulse zu gemeinsamem Handeln anbietet.  Die Kirche in der weiten Welt, unsere Gemeinden werden nicht attraktiver durch diese oder jene pastoralen Tricks und Events, sondern nur durch die Hoffnung, die in uns lebt, die andere danach fragen lässt: Warum seid ihr nicht so wie alle? Wieso fangt ihr immer wieder an, mehr und anderes zu wollen als bloß euren Wohlstand? Warum passt ihr euch nicht an und bringt immer wieder Fragen und Unruhe in unser Leben? 

Im heutigen Evangelium spricht Jesus den Grund unserer Hoffnung an: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll.“ Kurz darauf heißt es dann: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Damit ist der Geist also immer beschäftigt und noch nicht fertig. Ostern feiern heißt, um den Geist Gottes zu bitten, damit wir aus dieser Hoffnung leben können, die stärker ist als alle Gegenkräfte und Untergänge, auch stärker als die Untergänge von Gleichgültigkeit, Schuld und Tod. So wollen wir gegenseitig auf uns achten und uns in der Hoffnung stärken, damit wir leben können, gelassen und froh, engagiert und entschlossen. Dann werden wir uns gegenseitig und andere mitnehmen auf unserem Hoffnungsweg.

Gott sei Dank! Es gibt viele Menschen, die die christlich orientierte Hoffnung aus welchen Gründen auch immer nie für sich angenommen oder wieder aufgegeben haben, die aber aus anderen Gründen mit uns unterwegs sind und sich für die Menschen, für die Zukunft unserer Welt engagieren. Vielleicht müssen wir müde gewordenen Christ*innen sie fragen: Sagt uns den Grund euerer Hoffnung, die euch so motiviert und stärkt, dass ihr trotz aller Gegenmacht nicht aufgebt und euer Leben einsetzt? Wir brauchen eine Allianz jenseits aller religiösen, kulturellen und politischen Unterschiede, um gemeinsam etwas für eine Zukunft des Lebens in unserer Welt zu ermöglichen.

Gebet
Unsere Zeit ist voll von Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht!
Gewalt und Ungerechtigkeit beherrschen die Menschen,
die Täter und die Opfer.
Resignation und Anpassung scheinen die einzigen Wege zu sein,
wenigstens selbst durchzukommen.
Doch das kann nicht alles sein!
Guter Gott, wir danken dir 
für die großen 
Zeuginnen und Zeugen der Hoffnung in unserer Zeit,
für alle, die im Einsatz ihres Lebens diese Hoffnung bekunden,
aus welcher Motivation auch immer.
Lass uns auch auf die kleinen Zeuginnen und Zeugen achten,
die unscheinbar und bescheiden ihre Hoffnung leben
und oft ihr Leben dafür einsetzen.
So wagen wir zu bitten:
Lass uns unsere eigene Hoffnung neu entdecken!
Lass uns so leben, 
dass andere uns nach dem Grund unserer Hoffnung fragen
und wir gemeinsam mit den anderen unsere Welt verändern.