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Impuls zum 31. Januar 2021

Zum 4. Sonntag im Jahreskreis

Von Reinhard Haubenthaler, pax christi Diözesanverband München und Freising

Hinführung
In der Perikope dieses Sonntags begegnen wir einem Verständnis von Krankheit, das wir nicht mehr teilen und das uns heute sehr fremd erscheint. 
Kann uns der Bericht über die Austreibung eines „unreinen Geistes“ noch etwas bedeuten?

Dem  Autor des Markus-Evangeliums war diese Geschichte offenbar wichtig. Er hat sie an den  Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu gestellt: Voraus geht lediglich der Bericht über seine Taufe und eine Zeit der Versuchung in der Wüste, die kurze Zusammenfassung seiner Botschaft („Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“) und schließlich die Berufung der ersten Jünger. Unsere Heilungs-Geschichte  dient Markus  – sicher nicht zufällig – als erstes Beispiel für Jesu heilendes Wirken. 

Ich denke: Für den Zuwachs an biologischen, medizinischen und psychotherapeutischen  Erkenntnissen dürfen wir dankbar sein. Erklärungsversuche und Deutungen früherer Zeiten sollten wir aber auch nicht allzu überheblich belächeln. Vielleicht können sie uns auf Erfahrungen, Einsichten und Wahrheiten hinweisen, die auch heute noch ihre Bedeutung haben. Eine moderne ganzheitliche Medizin sieht ganz klar, dass Krankheit durch die rein biologisch-medizinisch beschreibbaren Fakten nicht vollends erfasst wird.

Der unheile Zustand von Menschen und auch der von Organisationen und Systemen sowie der Welt als ganzer hat nicht nur biologische und medizinische bzw. strukturelle und soziologische Ursachen, sondern geistig-spirituelle Wurzeln und Hintergründe. Auch wenn sich immer mehr berechnen und beherrschen lässt: Es gibt „Unberechenbares“, „Unbeherrschbares“ (Johannes Schlier). Die uns zunächst fremd und veraltet scheinende Rede von dämonischen Kräften und „unreinen Geistern“ kann uns aufmerksam machen auf die Eigendynamik des Bösen, auf Kräfte der Beharrung, die sich gegen den guten Geist Jesu, gegen das Evangelium, gegen das Kommen des „Reiches Gottes“ stemmen und nur schwer fassen lassen.

Evangelium (Mk 1, 21-28)
In Kafarnaum ging Jesus am Sabbat in die Synagoge und lehrte. Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.
In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei.
Da erschraken alle und einer fragte den anderen: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.

1. Mächte und Gewalten
Der US-amerikanische Theologe Walter Wink (auf dessen Buch „Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit“ ich mich hier beziehe und das ich nur empfehlen kann) hat versucht die biblische Rede von Engeln, Teufeln und Dämonen, von „Mächten und Gewalten“ ernst zu nehmen und zu deuten als Hinweis auf die „spirituelle Innenseite“, die jeder irdischen Gegebenheit und jeder menschlichen Institution innewohnt.

Wir erleben „Mächtigkeiten“ dieses Daseins, die uns feindlich begegnen als Kräfte der Versuchung, Verlockung, Bedrohung und Unterdrückung – vernetzt zu einem „Geflecht von Mächten“. Dieses „Herrschaftssystem“ ist gekennzeichnet durch „ungerechte Wirtschaftsbeziehungen, unterdrückerische politische Verhältnisse, vorurteilsbehaftete Rassenbeziehungen, patriarchalische Geschlechterbeziehungen, hierarchische Machtverhältnisse und den Einsatz von Gewalt“ (S. 48). Und es ist geprägt durch den Glauben „an eine erlösende Macht der Gewalt“, wie er uns begegnet „in den Medien, dem Sport, dem Nationalismus, dem Militarismus, in der Außenpolitik, .., bei der Religiösen Rechten und in selbsternannten Milizen“ und nicht zuletzt in zahllosen (Zeichentrick- und anderen) Filmen, in Video- und Computer-Spielen (S. 55). In der Überzeugung, Gewalt besitze erlösende Kraft, sieht W. Wink die wesentliche Gestalt des „unreinen“, dämonischen Geistes heute. Wieviel Skepsis und Abwehr begegnen zum Beispiel alle Überlegungen, Sicherheit „neu“ denken und gewaltfrei gestalten zu wollen!

Was kann uns helfen, diese uns beherrschenden „Mächte“ zu erkennen, beim Namen zu nennen und schließlich auch so zu lenken und zu verwandeln, dass sie „Gottes Herrschaft“ nicht im Wege stehen, sondern dienen?

2. Unterscheidung der Geister
Hier kommt die Aufgabe der „Unterscheidung der Geister“ in den Blick, die bereits der Apostel Paulus als Charisma sieht (1 Kor 12, 10). 
Nicht alles, was gut oder fromm scheint, dient wirklich dem Guten.
Nicht nur Handlungen, sondern auch Gefühle, Gedanken, Stimmungen gilt es immer wieder zu prüfen, ob sie wirklich im Sinne Gottes bzw. Jesu sind; ob sie beitragen zum Wachstum des „Reiches Gottes“; ob sie ein mehr an Liebe bedeuten; ob sie geprägt sind von Hoffnung und Vertrauen, von dem Wunsch, Gott und den Menschen zu dienen.

Gottes Geist ist am Werk, wo wir dem uns immer entgegenkommenden Gott Raum geben für sein verwandelndes, heilendes Wirken –  in unserem eigenen Leben und in der Welt.
Den „unreinen Geist“ in unserem Evangelium kennzeichnet es ja gerade, dass er zwar um die „Heiligkeit“ Jesu weiß, aber ihm nicht begegnen, nichts mit ihm zu tun haben will.

Es gibt Haltungen, Einstellungen, Gewohnheiten, Strukturen, „Mächte und Gewalten“ (in einem jeden Menschen und in allen Institutionen und Organisationen), die daran interessiert sind, dass ihre Macht nicht angetastet wird, die sich verschließen gegen Gottes Einfluss. 

Wo entdecken wir solche „Mächte und Gewalten“ - in unserem persönlichen Leben, in den Gemeinschaften, in denen wir leben, in unserer Gesellschaft, in unseren Kirchen, in den globalen Strukturen -, die verhindern, dass Gott, und zwar der väterlich-mütterliche, der liebend-schöpferische, barmherzige Gott Jesu befreiend und heilend wirksam wird, so dass jeder Mensch als von Gott geliebt mit gleicher Würde gesehen und geachtet wird und sein Leben selbstbestimmt, frei, menschenwürdig leben kann?

3. Vollmacht
Jesus bringt die Menschen in Bewegung, sie staunen, ja sie erschrecken. Er lehrt mit „Vollmacht“, anders als die Schriftgelehrten; gleich zweimal weist Markus darauf hin. 
Worauf gründet diese besondere Kraft und Autorität? Bemerkenswert, dass Jesus diese „Vollmacht“ wenig später seinen Jüngern überträgt (Mk 3, 15)! 
Was also kennzeichnet die „Vollmacht“ im Sinne Jesu, die in seinem Jüngerkreis (und das heißt dann auch: in uns, in der Kirche) präsent und wirksam sein soll?

Die Lehre der Schriftgelehrten bzw. der Gesetzeslehrer (damals wie heute) ist fixiert auf Gesetze, Regeln, Buchstaben; sie ist gerichtet auf die Erklärung und Rechtfertigung des Bestehenden, auf die Erhaltung des „status quo“; Gebote, Bestimmungen, Traditionen sind wichtig, nicht der Mensch. 
Jesus spricht aus persönlicher, subjektiver Bewegung heraus - persönliche Bewegtheit ermöglichend und fordernd. Er ist interessiert am Menschen, am konkreten Menschen und seiner Situation – ganz individuell. Mit ihm kommt eine positive Kraft der Veränderung, eine verwandelnde, heilende Kraft in unsere Welt, die antwortet auf Not, Sehnsucht und Hoffnung. Die Kraft, die von ihm ausgeht, beruht auf der Überzeugung, geliebter Sohn eines liebenden Gottes zu sein (Mk 1, 11), der uns liebend, verwandelnd, heilend nahe sein will, ja uns entgegenkommt in Gestalt des „Reiches Gottes“ (Mk 1, 15).

Was hilft uns, dieses Bewusstsein, geliebte Söhne bzw. Töchter des liebenden Gottes Jesu zu sein, in uns so zu nähren und zu pflegen, dass es der alles bestimmende „Geist“ wird, der uns in jeder Situation führt und leitet? Damit wir überzeugt und überzeugend (auch gegen Widerstand und bei scheinbarer Erfolglosigkeit) der Geistlosigkeit, dem Ungeist, den „Mächten und Gewalten“ dieser Welt entgegentreten und an einer „Verwandlung der Mächte“ arbeiten können – ohne Groll, ohne Überheblichkeit, ohne denen zum Feind zu werden, die Jesu Botschaft noch nicht erreicht hat.

Fürbitten
Voraus einige Gedanken von Walter Wink zur Bedeutung der „Fürbitte“ aus seinem Buch über die „Verwandlung der Mächte“, die mich sehr angesprochen haben:

„Fürbitte ist der spirituelle Widerstand gegen das, was ist, im Namen dessen, was Gott verheißen hat.“
„Das Gebet lässt die Luft einer kommenden Zeit in die erstickende Atmosphäre der Gegenwart hereinwehen.“ (S. 156)
„Die Geschichte gehört den Fürbittern, die durch ihren Glauben die Zukunft heraufführen.“ Fürbitte ist „keine Flucht vor dem Handeln, sondern ein Mittel, sich auf das Handeln auszurichten und schöpferisch zu werden.“ 
„Durch unsere Fürbitten werfen wir wahrhaft Feuer auf die Erde und posaunen die Zukunft ins Dasein.“ (S. 158)

Bitten könnten wir heute zum Beispiel:
für alle, die wegen ihrer Krankheit diskriminiert, ausgegrenzt, abgelehnt werden;
für alle, die in irgendeiner Form therapeutisch heilend tätig sind;
für die Menschen, die sich nicht abfinden mit dem, was ist; die trotz aller Widerstände nicht resignieren; die kämpfen um eine menschenwürdige Zukunft für alle;
für uns und für alle Menschen
um einen klaren Geist, der Traditionen, Systeme, Strukturen erkennt und benennt, die Menschen unterdrücken;
um einen kritischen Geist, der die Geister zu unterscheiden weiß;
um einen offenen Geist, der bereit ist, in allem auf Gottes Entgegenkommen und immer größere Möglichkeiten zu vertrauen;
um einen „reinen“ Geist, der ehrlich die eigenen Interessen entdecken und hinter wichtigere gemeinsame Ziele zurückstellen kann.

Gebet
Liebender Gott, 
Du, den Jesus uns in seiner heilenden Gegenwart mit „Vollmacht“ nahegebracht hat,   
öffne uns die Augen für die Verflechtungen des Bösen, der Macht, der Gewalt,
wecke, nähre und stärke in uns die Sehnsucht nach Freiheit, nach Heilung, nach Verwandlung, in uns selbst, bei den Menschen, mit denen wir leben, in den Gemeinschaften und Organisationen, die uns wichtig sind, in Völkern und Staaten,
öffne die Herzen für deine belebende Nähe, 
im persönlichen Leben, in den Strukturen und Systemen,
da wo ein Geflecht von Vorurteilen und Selbstsucht den Blick verstellt, 
da wo Gleichgültigkeit oder Resignation uns lähmt,
schenk uns deinen Geist, 
damit wir zu Boten deines Reiches werden, 
damit deine Herrschaft Raum gewinnt -  versöhnend, befreiend, heilend.

Und als Schlussgedanke:
Wenn die Widerstände übermächtig scheinen, können wir Hoffnung und Vertrauen beflügeln im Blick auf die wunderbare Zusage in Röm 8, 38-39:

„Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Und dann noch ein Wort von Heinrich Schlier (ein Neutestamentler, der sich bereits in den fünfziger Jahren grundlegend mit der Rede von den „Mächten und Gewalten“ beschäftigt hat): 
„Am Kreuz Jesu wird die Macht der Mächte zerbrochen durch die unzerbrechliche Macht der tragenden Liebe“.