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pax christi

menschen machen frieden - mach mit.

Unser Name ist Programm: der Friede Christi. 

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. 

» Alle Informationen zur Deutschen Sektion von pax christi

St. Martin: Mehr als Mantelteilen!

10. Nov 2020

Ein pazifistischer Blick auf einen beliebten Heiligen

Der Heilige Martin von Tours gehört zu den beliebtesten Heiligen in Europa. Dass er nicht nur seinen Mantel mit einem frierenden Bettler teilte, sondern auch zu den ersten Kriegsdienstverweigerern zählte, ist weniger bekannt. Markus Weber, Referent für Friedensarbeit im Erzbistum Freiburg, stellt den Bezug zur Kirche heute her:

Der Heilige Martin von Tours (316/7-397) gehört zu den beliebtesten Heiligen in Europa. Am "Martinstag", den 11. November, wird vielerorts an ihn erinnert. Meist ziehen hierzulande dann Kinder mit ihren selbstgebastelten Laternen durch die abendlichen Straßen der Dörfer und Städte. Dann wird ein Feuer entzündet, es wird gesungen, es werden Martinsweckle und Weckmänner gegessen. Und oftmals wird auch die bekannte Szene nachgespielt, in welcher der Soldat Martin seinen Mantel mit einem Bettler teilt. So weit, so bekannt – lebendiges Brauchtum eben.
Weniger bekannt ist hingegen, dass diese Episode der Wendepunkt im Leben des Soldaten Martin war. Denn er ließ sich daraufhin taufen und quittierte seinen Militärdienst im römischen Heer. Martin soll sogar vor den Kaiser Julian getreten sein und ihm erklärt haben: „Bis heute habe ich dir gedient, gestatte mir, dass ich jetzt Gott diene. Ich bin Soldat Christi. Es ist mir nicht erlaubt, zu kämpfen!“
Anscheinend schloss es sich zu Zeiten Martins aus, zugleich Soldat des Kaisers/Imperiums und Soldat Christi zu sein.
 
Und tatsächlich reiht sich Martin mit seiner Kriegsdienstverweigerung in die Tradition der Alten Kirche ein. Nach dieser kamen die Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte gemäß dem Aufruf Jesu zur Feindesliebe und zum Gewaltverzicht in der Bergpredigt, aber auch gemäß der paulinischen Ethik gar nicht auf die Idee, Waffen zu tragen und Militärdienst zu leisten (wie man bei Kirchenvätern wie Origenes, Hippolyt oder Cyprian von Karthago nachlesen kann).
Diese weit verbreitete pazifistische Einstellung der Alten Kirche änderte sich freilich in dem Moment, in dem der römische Kaiser Konstantin im Jahre 312 bei der Schlacht an der milvischen Brücke im Zeichen des Kreuzes siegt („in hoc signo vincis“) und fortan Christinnen und Christen Zugang zur Macht in Regierung und Politik erhielten. (Nebenbei: auch die Bundeswehr gebraucht das Kreuz immer noch als Emblem für ihr Kriegsgerät!)
Das daraus resultierende theologische Dilemma, zugleich Christ und Soldat sein zu wollen, versuchte Aurelius Augustinus mit seiner „Lehre vom gerechten Krieg“ aufzulösen. Eine Lehre, die später von Thomas von Aquin weiterentwickelt wurde und die bis heute das Denken der Großkirchen (im Unterschied zu den Friedenskirchen, den Mennoniten und Quäkern) prägt.
 
Mehr und mehr scheinen sich aber auch die Großkirchen wieder verstärkt auf die christliche Gewaltfreiheit, wie sie Jesus verkündet und auch vorgelebt hat, zu besinnen. So wird in ihrer Friedensethik zunehmend die Lehre vom gerechten Krieg vom Leitbild des gerechten Friedens abgelöst. Einem Leitbild, das dazu anleitet, direkte, strukturelle und kulturelle Gewalt in Konflikten um Macht und Herrschaft gewaltfrei zu transformieren. Innerhalb der Katholischen Kirche hat sich hier beispielsweise eine Catholic Nonviolence Initiative  gegründet, die im Jahr 2016 von Pax Christi International initiiert wurde und an die auch Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2017 anknüpfte. Und hierzulande hat die Badische Landeskirche einen bemerkenswerten Diskussionsprozess zu einer Neuorientierung der Friedensethik gestartet, der in einen viel beachteten friedensethischen Beschluss der Herbstsynode 2013 mündete. Als ein Ergebnis dieser friedensethischen Neuorientierung wurde u.a. das Szenario „Sicherheit neu denken“ erarbeitet, das aufzeigt, wie Deutschland analog dem Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2040 auch die militärische Friedenssicherung überwinden könnte.
 
Aber ist solch ein Ansinnen, ist solch eine Forderung nach konsequent ziviler bzw. gewaltfreier Konfliktbearbeitung nicht naiv?
Wer so fragt, verwechselt diese Art der Gewaltfreiheit vermutlich mit Passivität. Doch um die ging es Jesus nicht. Ihm ging es weder um Passivität noch um gewaltsame Revolte, weder um Unterwerfung noch um einen bewaffneten Aufstand, weder um Ergebung noch um Rache, weder um Rückzug noch um direkte Vergeltung, weder um Flucht noch um Kampf. Vielmehr weist Jesus uns einen dritten Weg: Es ging und geht ihm um aktive Gewaltfreiheit, also um den aktiven gewaltfreien Einsatz für Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden.1
Dass eine derart verstandene aktive Gewaltfreiheit nicht naiv ist, zeigt beispielhaft der Blick auf die friedliche Revolution in der DDR. Diese Revolution, die aus der Kirche kam, übersetzte die Alternative Jesu der Gewaltlosigkeit in die Handlungsmaxime „Keine Gewalt“ und praktizierte sie konsequent auf der Straße, wie der damalige Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, es einmal formuliert hat.
Dass eine solch friedliche Revolution wie damals in der DDR kein Einzelfall ist, kann man u.a. einer Studie der beiden US- amerikanischen Wissenschaftlerinnen Maria J. Stephan und Erica Chenoweth entnehmen.2 Dort zeigen sie zudem, dass gewaltfreie Aufstände in den weltweiten Konflikten der letzten 100 Jahren fast doppelt so wirksam waren wie gewaltsame Aufstände.
Wenn aktuell also die Menschen in Belarus gewaltfrei auf den Straßen ihres Landes für Demokratie und Menschenrechte protestieren, handeln sie nicht nur im Sinne der christlichen Botschaft, sie handeln auch taktisch und politisch klug.
 
Wäre vor diesem Hintergrund also nicht vielmehr zu fragen, ob angesichts der mageren Ergebnisse beispielsweise der langwierigen Militär-Interventionen in Afghanistan und Libyen sowie im Irak nicht der Glaube an die Wirksamkeit militärischer Gewalt naiv ist? Schließlich zeigen internationale Studien längst, dass die starke Fokussierung unserer Außen- und Sicherheitspolitik auf Militär gemessen an ihrem Beitrag zur Erreichung politischer Ziele mindestens unvernünftig ist.
 
Das alles kann uns mit Blick auf den Heiligen Martin vielleicht zu folgenden Fragen führen:
Wann, wenn nicht jetzt, wäre es an der Zeit, die pax romana gegen die pax christi einzutauschen?
Wann, wenn nicht jetzt, wäre die Zeit für eine echte „Umkehr zum Frieden“ ?
Wann, wenn nicht jetzt, wäre es an der Zeit, unsere Kollaboration mit dem Komplex „Mammon – Macht – Militär“ zu beenden und an seine Stelle „Teilen – Geschwisterlichkeit – Gewaltfreiheit“ zu stellen?3

Vielleicht ist es eine Pointe der Geschichte, dass der Heilige Martin heute der Patron der Soldaten ist. Auf alle Fälle aber ist der Martinstag ein guter Anlass, dass wir uns denKriegsdienstverweigerer Martin und das pazifistische Erbe der Alten Kirche stärker ins Bewusstsein rufen.
 
1 Vgl. Wink, Walter: Angesichts des Feindes. München 1988.
2 Chenoweth, Erica; Stephan, Maria J.: Why civil resistance works. The strategic logic of nonviolent conflict. New York 2011. Mehr zu den Studien und den folgenden Argumenten im Szenario „Sicherheit neu denken“
3 Vgl. Bürger, Peter: Die katholische Lehre „Humani generis unitas“ für das dritte Jahrtausend. In: „Frieden. Impulse für die Pastoral 2/2018“